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PETER GRANSOW

Honigstunden, neunzehndreiundsechzig

Ich kann den Busfahrer nicht leiden. Er hat so einen vergammelten Stolz, und das ist eigentlich alles an ihm. Fährt wie eine Sau, und als er darauf angesprochen wird, drückt er noch mehr auf die Tube, dreht sich halb zu uns um und kommt dann mit seiner Berufserfahrungs-Kacke. Fast zwanzig Jahre lang unfallfrei auf ner Strecke, wahrscheinlich von hier bis zum Mond und immer pünktlich. Früher mal Panzerführer gewesen und heute Weicheier-Transporteur. Komme ihm jedenfalls so vor. Armes Deutschland.
Was für ein Arschloch, Mann! Auch seine beiläufigen Bemerkungen und Witze sind pedantisch und blöde. Ich glaube noch nicht mal, dass er sich hervortun will, aber sowie er den Mund aufmacht, nimmt er sich ernst. Er quatscht immer in Provinzlerlautstärke, eigentlich nie mehr als drei Sätze hintereinander. Manchmal reagiert auch jemand drauf, den lässt er dann meist noch seinen Satz wiederholen, obwohl er nicht schwerhörig ist. Dabei grinst er, und das ist mir widerlich, genauso wie seine fettigen Haare, Nikotinfinger und dreckigen Nägel. Irgendwie hat er immer sein Publikum, ist aber wohl zu dumm, um zu begreifen, dass man ihm nur aus Mitleid oder gelangweilt etwas erwidert, - abgesehen von Fremden, die es ab und zu gibt und die vorsichtig antworten, wie man das so macht.
Ich hatte meine Monats-Karte vergessen und versuchte es bei ihm erst mal auf die höfliche Tour, aber er ging nicht darauf ein, obgleich ich jeden Tag mitfuhr. Er verzog keine Miene, riss wortlos einen Schein ab und hielt ihn mir hin, ohne mich anzusehen. Als ich noch zögerte, wurde er wütend und sagte, ich solle machen. Ich gab ihm das Geld, und während er wechselte, knurrte ich ihm zu, dass er der saudummste Fahrer sei, den ich kennte. Er meinte, ich solle mich ja vorsehen und hier kein so freches Maul riskieren, sonst schmisse er mich raus. Von einem solchen Würstchen wie mir würde er sich sowas bestimmt nicht gefallen lassen. Pflichtvergessenden Versagern, die glaubten, dass sie nichts von Ordnung und Disziplin halten müssen, auch noch Zucker in den Arsch zu blasen und sie umsonst zu kutschieren, wäre das Letzte, was er sich vorstellen könne. Für solche Leute habe Deutschland den Krieg nicht verloren. Ich wollte keinen Ärger, setzte mich hin und schlug die Zeitung auf, während er vorne den Leuten allerlei weiteren Mist aufschwätzte, um sie zum Mitnuancieren anregen zu wollen. Als sich schließlich ein paar grinsend nach mir umdrehten, trat eine junge Negerin ein, die sich zu mir setzte.
Es war mir anfangs nicht klar, ob es mich störte, dass sie den Platz voll neben mir ausfüllte und mich mit ihrem Hintern berührte. Ihr kurzer weißer Rock stach massiv vom Dunkelbraun ihrer Schenkel ab. Ich ließ die Zeitung aus der Hand rutschen. Beim Aufheben wippten ihre rotlackierten Zehen in ihren Sandalen, und als ich hochsah, lächelte sie mir von oben zu.
Im Autoradio erzählte ein Sprecher, dass de Gaulle die Herzen der Leute aller Länder der ganzen Nation erobert habe. Man brachte seine Rede in inländischer Sprache, deren eigentümliche Akzentuierung und heroische Einfachheit mich aufgeschlossen machten.
Später, in ihrer Wohnung, spielten wir diese Kammermusik, die weder Noten noch Instrumente braucht. Sie war nur einen halben Kopf kleiner, und es machte ihr Spaß, wie ich es machte. Es gefiel ihr, wenn ich von kompliziertem in dogmatisch monotonen Rhythmus überging und dabei das Tempo allmählich steigerte.
Lange Zeit war ich neben ihr gelegen, zufrieden und stumm. Sie hatte meinen Kopf seitlich ins Kissen gezogen, schaute mich an, und ich spürte ihren Atem, und wie gut er roch. Noch einmal hob ich sie, zerkämmte sie sanft, bis sie sich wieder spreizte, mich in ihren warmen Bariton sog, der sich grell an der Wand verknotete und dann, endlich, wie ein zerfetzter Spinnenleib, Fäden ziehend versackte.
Sonne und Vögel überlagerten und vermischten sich. Licht-Gezwitscher in kleinen, spitzen verspielt boshaften Schüben, durch ein geöffnetes Fenster schlüpfend, kitzelte uns wach. Sie hatte Brötchen geholt und während sie Honig raufträufelte, erzählte sie mir von ihrer Seminar-Arbeit über den Kategorischen Imperativ. Kein schlechtes Thema, pflichtete ich ihr bei. Das Saftig-Knusprige ließ mich leicht aufstoßen. Während ich mich mit sanft geblähten Backen wohlig in meine Kleider streckte, hob sie mit dem Messer eine Fliege aus dem Honig, die sie am Tellerrand abstreifte und dann mit der Spitze zerdrückte.
Dem Busfahrer zahlte ich, ohne Aufhebens zu machen. Ich sagte ihm, dass das mir Leid tue von gestern, dass er ja auch recht gehabt habe, und ob er mir verzeihen wolle. Er schob seine Brauen soweit nach oben, dass ich den Eindruck hatte, es müsste ihm gerade physischen Schmerz bereiten.

Aus: Tod im Altersheim. Erzählungen und Skizzen (unveröffentlicht)

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